Virtueller Wühltisch mit VIP-Status - SHOPPINGCLUBS

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Veröffentlicht am 3 Juli in Bernerzeitung

Ausverkauf und Outlet waren gestern! Schnäppchenjäger der neusten Generation gehen im Internet in Shoppingclubs auf die Pirsch. Dort locken 70-Prozent-Rabatte und Communityfeeling.

Er sieht gut aus und trägt angesagte Marken: ein Quiksilver-Shirt, G-Star-Jeans und Nike-Turn- schuhe. Adrian Kern aus Zürich weiss, was ihm steht und was ge- rade angesagt ist. Der 24-Jährige ist Stammkunde in den Zürcher Trendläden und shoppt nach Möglichkeit auch in den Gross- städten dieser Welt. Heute je- doch hat ihn seine Leidenschaft für Marken nach Langenthal ins Industriequartier getrieben. Hier befindet sich der reale Sitz des virtuellen Shops Fashionfriends.ch.

Der Gegensatz zu den top gestylten Läden im Niederdorf oder in Soho könnte grösser nicht sein: graue Betonbauten, grosse Lagerhallen, öde Büroräume. In einer Ecke ein improvisiertes Fotostudio – weisses Papier als Hintergrund, einige Scheinwerfer und ein Schminktischchen. Egal. Dass ein Kunde nach Langenthal kommt, ist die Ausnahme. Adrian Kern nimmt an einer Diskussionsrunde teil, in der das junge Unternehmen Feedback von seinen Kunden einholen will.
 
Den Jagdinstinkt wecken

Fashionfriends.ch ist die erste Schweizer Shoppingcommunity für Markenkleider. Weltweit gibt es zahlreiche ähnliche Plattformen (siehe Kasten links). Die Site bietet Labels wie zum Bei- spiel Dior, Diesel oder DNKY mit
Preisnachlässen von bis zu 70 Prozent an. Anders als bei her- kömmlichen Onlineshops kann hier aber nur einkaufen, wer Mitglied ist. Die Aktionen werden per E-Mail angekündigt, beginnen jeweils um 7 Uhr morgens und dauern in der Regel drei Tage – aber manchmal ist auch schon alles nach wenigen Minuten weg.
„Das weckt den Jagdinstinkt“, bringt die 23-jährige Anja von Büren aus Basel die Marketingstrategie auf den Punkt. Oft geht sie bereits morgens im Bett on- line und checkt das Angebot.
Wenn sie denkt, dass sie sich ärgern würde, falls sie leer ausginge, schlägt sie zu: „Es ist ja so günstig.“
 
Der Trick mit dem Zugang

„Eine Restrampe der Neuzeit, die jedoch durch den limitierten Kundenzugang an Exklusivität gewinnt“, nennt Trendforscher Matthias Horx vom Deutschen Zukunftsinstitut das Phänomen. Fakt ist: Member werden ist nicht schwer. Hat man keine Freunde, die schon dabei sind, googelt man einfach mit den Stichworten „Fashionfriends“ und „Zugangscode“, oder man bittet über eine E-Mail-Adresse im Impressum um Eintritt.
 
Beinahe keine Konkurrenz
 
Der Schweizer Shoppingclub ist seit drei Monaten online und hat bereits 10 000 Mitglieder. Zum Vergleich: Das französische Portal Vente-privée.com gibt es seit 2001. Inzwischen hat der „private“ Verkaufsklub über 7 Millionen Mitglieder. In den vergangenen sieben Jahren hat sich der Umsatz verzehnfacht und liegt heute bei mehr als einer halben Milliarde Euro.

In der aktuellen Krise hat sich das Wachstum etwas gedrosselt, aber anders als klassische Warenhäuser und grosse Einkaufszentren müssen die virtuellen Shoppingclubs nicht um ihre Existenz bangen. Vor allem nicht hier zu Lande. Denn die Konkurrenz aus dem EU-Raum liefert meist gar nicht in die Schweiz. Zu umständlich und kostspielig sind die Zollformalitäten (siehe Bernerzeitung.ch). In der Schweiz gibt es für Fashionfriends bloss einen einzigen Konkurrenten: eboutic.ch. Dieser Shoppingclub wurde vor zwei Jahren in der Westschweiz gegründet, hat inzwischen auch eine Seite auf Deutsch und verkauft neben Mode auch allerlei anderes. Der kritische Konsument mag einwenden, dass man mit Kleidern im Internet die Katze im Sack kauft – vor allem wenn es sich um einen virtuellen Wühltisch handelt. „Wir verkaufen nicht nur Überproduktionen, sondern vor allem Artikel aus aktuellen Kollektionen“, wehrt sich Fashionfriends-Geschäftsführer Peter Schüpach. Das Geschäft sei für alle Beteiligten eine Win-win-Situation: „Da wir keine teure Infrastruktur haben, geben wir die Ware praktisch zum Einkaufspreis weiter. Und die Hersteller werden ihre Waren los, ohne das Preisniveau in den Einkaufspassagen zu gefährden.“
 
Bietet mehr als ein Katalog

Und wie steht es mit der Pass- form? „Die Kunden können die Artikel innerhalb zweier Wochen zurückschicken. Allerdings sind Retouren mit hohen Kosten für uns verbunden. Unter Umständen bleiben wir sogar auf der Ware sitzen. Darum wollen wir Fehlkäufe wenn möglich verhindern – und geben uns grosse Mühe bei der Illustration und Beschreibung.“
Tatsächlich: Auf der Website wird einiges mehr geboten als in einem Versandkatalog. Von demselben Artikel gibt es Fotos am Model aus bis zu sechs verschiedenen Perspektiven, die sich vergrössern lassen. Zudem ist angegeben, welche Masse das Model hat und welche Grösse es trägt.
 
Der Kick mit dem Klick

Bleibt ein letzter Einwand gegen den Kleiderkauf im Internet: das verpasste Shoppingerlebnis. Durch-die-Läden-Ziehen mit Freundinnen und kein Kichern oder Klagen vor dem Spiegel. Macht nichts. Dafür wird Shopping zu einem „Einkaufsspiel“, das bei erfolgreicher Schnäppchenjagd für einen „Kick“ sorgt, so jedenfalls beschreiben die Teilnehmer der Diskussionsrunde ihre Erfahrungen. Und was den Austausch mit Freunden betrifft: Die Generation Internet kommuniziert sowieso am liebsten virtuell – über Webcams, Facebook und Twitter.
 
Das Einkaufsspiel im Netz: Die Generation 2.0 trauert dem Shoppingerlebnis in den Einkaufspassagen nicht nach. Im Gegenteil: Sie tauscht sich sowieso am liebsten über Webcams, Facebook und Twitter aus.
 
Online-Clubs im Vergleich

eboutic.ch: erster Schweizer Shoppingclub, 2007 gegründet. Rund 100 000 Mitglieder. Verkauft nicht nur Markenkleider, sondern auch Spiel-, Sport- und Haushaltsgeräte. theoutnet.com: kleine, günstigere Schwester von Net-a-por-ter.com. Liefert in die Schweiz.
Achtung: Zollbeträge und Portokosten nicht vergessen. brands4friends.de: grösster deutscher Shoppingclub für Markenkleider mit 2 Millionen Mitgliedern. vente-privée.com: mit 7 Millionen Mitgliedern grösster Shoppingclub in Europa. 
 
STUDIE

E-Commerce im Aufwind
Immer mehr Schweizer Onlinenutzer kaufen im Internet. Gemäss einer Studie der Universität St. Gallen sind es bereits 84 Prozent. Im Jahr 2008 wurden Produkte im Wert von 5,87 Milliarden Franken per Klick eingekauft, das entspricht einer Steigerung zum Vorjahr von 38 Prozent. Der Marktforscher GfK Switzerland hat Zahlen für die Textilwirtschaft erhoben: Sie zeigen, dass der Anteil des Onlinehandels in der Sparte Bekleidung und Schuhe bereits bei 9 Prozent liegt. Experten gehen davon aus, dass die Zahlen weiter steigen werden. 
 
PORTRÄT

Fashionfriends in Zahlen
Das Unternehmen mit Sitz in Langenthal beschäftigt 15 Mitarbeiter. Seit der Lancierung Ende April wurden nach eigenen Angaben über 50 Verkaufsaktionen durchgeführt und weit über eine Million Klicks auf der Website registriert. Insgesamt sind bis heute über 5000 Artikel an Kunden ausgeliefert worden. Der Shoppingclub für Markenkleider zählt über 10 000 Mitglieder, ihr Durchschnittsalter liegt bei zirka 28 Jahren, rund die Hälfte davon sind Frauen. Tamedia, zu der auch diese Zeitung gehört, hat eine Beteiligung an der Firma.
 
Andrea Freiermuth
www.shoppingclubs.bernerzeitung.ch
www.eboutic.ch - les ventes privées suisses

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